Seit mehr als 20 Jahren finden in der Waldaukapelle regelmässig kulturelle Veranstaltungen sowie Gottesdienste statt, die von Patientinnen und Patienten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Klinik, sowie von interessierten Personen aus Bern und umliegenden Gemeinden besucht werden.
So etablierte sich über die Jahre ein Ort in der Kapelle, in dem Konzerte, Theaterstücke, historische Tänze zur Aufführung gelangten. Finanziell getragen werden diese kulturellen Veranstaltungen von Sponsoren, vom Psychiatrie-Museum Bern und durch die grosszügigen freiwilligen Unkostenbeiträge der Besucherinnen und Besucher.
Die heutige Gestalt der Waldaukapelle geht auf die Erweiterung der Siechenhauskapelle um 1682 zurück, als auf Grund wachsender Platzansprüche der im Umkreis der Waldau ansässigen Landgutbesitzer der Chor abgebrochen und der Raum nach Osten erheblich verlängert wurde. Es entstand ein langer rechteckiger Predigtsaal, zeitgemäss barock ausgestattet mit einer bemalten, durchgehenden Holztonnendecke, 7 Kuppelfenstern und einer Chorpartie, die durch eine Stufe vom Kirchenschiff abgetrennt ist. Am westlichen Ende wurde 1972 eine Orgel in die Brüstung der Empore eingebaut (Orgelbau Genf AG, 1993 Revision und Erweiterung durch Orgelbau Th. Kuhn AG, Männedorf), die 13 Register verteilt auf 2 Manuale und Pedal umfasst. Das an sich kleine, aber doch mächtig wirkende Instrument klingt im stilvollen Raum differenziert und kann sowohl solistisch wie auch als Begleitinstrument eingesetzt werden. Durch ausgeprägt guten akustischen Verhältnisse können unterschiedlichste Veranstaltungen durchgeführt werden.
Neben eher traditionellen Konzerten werden immer wieder alternative Formen miteinbezogen, bei denen instrumentale Improvisationen, manchmal mit gleichzeitigen gestalterischen Elementen eingesetzt werden.
Im Chorraum befindet sich der Steinway-Flügel der Waldau, der auf Initiative des damaligen Sekundararztes Gottlieb Burckhardt – nach Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Schärer «ein Meister im Reich der Töne» – 1881 erworben wurde. Der Flügel wurde vor 15 Jahren fachgerecht von einem Steinway Spezialisten (Demeter Mozew) restauriert. Das Programm der Veranstaltungen wird interessierten Besucherinnen und Besuchern per Post zugestellt. Hinweise finden sich auch unter der Rubrik Veranstaltungen auf der Homepage des Psychiatrie-Museums Bern (www.psychiatrie-museum.ch).
Die Waldau-Gruppe – Bau- und nutzungsgeschichtlicher Ueberblick
Auszug aus dem Kunstführer:
(Autor: Georges Herzog, Inventarisation der Kunstdenkmäler des Kantons Bern)
Die Siechenkapelle (Bolligenstrasse 131), die heute zum weitläufigen und heterogenen Gebäudekomplex der psychiatrischen Universitätsklinik Waldau gehört, ist in ihrer Grundsubstanz rund 530 Jahre alt. Zum besseren Verständnis der wechselvollen, durch zahlreiche Nutzungsänderungen und Umstrukturierungen gekennzeichneten Geschichte der sowohl bau- wie auch medizinhistorisch bedeutenden WaldauGruppe scheint es angezeigt, zunächst ihr allmähliches Zusammenwachsen in grossen Zügen zu umreissen.
1491-1501 (Verlegung auf das Breitfeld)
Bis ins späte 15. Jahrhundert befand sich das Siechenhaus der Stadt Bern an der östlichen Ausfallstrasse nahe der Haspelgasse im Obstberg. In den Jahren nach 1491 wurde diese hauptsächlich zur Absonderung von Leprakranken dienende Institution auf das Breitfeld in der Kirchgemeinde Bolligen verlegt. Gleichzeitig (bis 1501) wurde auch die dazugehörige Kapelle, die seit 1365 mit einer eigenen Kaplanei ausgestattet war, durch einen Neubau auf dem Breitfeld ersetzt.
Ende 16. Jahrhundert (Erste Ausbauphase)
1598f. wurde die Gruppe der Siechenhausbauten um das Haus des Siechenmeisters, das sogenannte Siechenschlössli (Bolligenstrasse 133), erweitert. Der dreigeschossige Quaderbau mit traufseitigem Treppenturm und der ungewöhnlichen Übernahme des städtischen Laubenmotivs auf der nördlichen Giebelseite ist ein Werk der Prismeller Werkmeister Peter und Hans zur Matten und stellt heute das älteste, noch weitgehend in seinem ursprünglichen Habitus erhaltene Bauwerk der Gruppe dar. Im Anschluss daran, 1599-1601, und wohl von den gleichen Werkmeistern erbaut, entstand das sogenannte Blatternhaus. Diese 1498 gegründete, zweite Absonderungs- und Behandlungsstätte für ansteckende Krankheiten wurde somit nun ebenfalls vom Ostausgang der Stadt (Sandfluh) auf das Breitfeld verlegt. Teile davon haben sich im Mauerwerk der ersten zwei Geschosse des sogenannten Kurhauses (Bolligenstrasse 135) erhalten. Beide Anstalten – Siechen- und Blatternhaus wurden schon bald danach gemeinsam verwaltet und rechtlich zusammengeschlossen (1643-1645).
1682f. (Tiefgreifende Erweiterung der Siechenhauskapelle)
Inzwischen war die Kapelle offensichtlich zu klein geworden. Dies dürfte in erster Linie eine Folge der Zusammenlegung der beiden vorgenannten Anstalten gewesen sein, war aber vielleicht auch durch die wachsenden Platzansprüche der im Umkreis der Anlage ansässigen Landgutbesitzer mitbedingt. So wenigstens lassen es ein Bestuhlungsplan aus dem 18. Jahrhundert und zahlreiche noch heute erhaltene Bankschildchen mit den Wappen partizischer Familien vermuten. Unter Verwendung der Schiffsmauern des Altbaus wurde die Kapelle nach Osten erheblich erweitert, zu einem längsrechteckigen Einheitsraum ergänzt und zeitgemäss barock ausgestattet.
18. Jahrhundert (Ausbau zum Ausserkrankenhaus)
Im Anschluss an den Bau des neuen Burgerspitals (1734-1742) wurde vom Rat auch die Sanierung der Anlagen auf dem Breitfeld beschlossen. 1742 baute Ludwig Emanuel Zehender anstelle von drei Kornspeichern ein massives Kornhaus (Bolligenstrasse 129; 1872f. zur Verwalterwohnung umgebaut).
1746 wurde die Anlage nach Plänen von Samuel Lutz und unter der Leitung von Werkmeister Abraham Wild um eine Anstalt für Geisteskranke, das sogenannte Tollhaus (heute Althaus; Bolligenstrasse 141; Ausbauten 1767, 1784 und 19. Jh.) erweitert.
1756-1765 wurde nach Plänen von Ludwig Emanuel Zehender ein neues Blatternspital und Pfründerhaus erbaut (Plan 6, Bolligenstrasse 127; letzte Sanierung 1989-1991).
1758 Erneuerung des Siechenschlösslis (Bolligenstrasse 133).
1760 Innenumbau des alten Blatternspitals und Neudefinierung der Nutzung indem es fortan zum Ort für „Halbtolle und venerisch Kranke“ wurde (Plan 3; ab 1834 Kurhaus für Hautkranke).
1762-1764 schloss der Berner Architekt Niklaus Sprüngli den Raum zwischen altem Blatternhaus und Siechenschlössli zu einem Hof, indem er den Platz durch einstöckige Nebenbauten rahmte (vor allem das ehemalige Wasch- und Ofenhaus; heute Prosektur, Plan 7, Bolligenstrasse 133A).
1765 wurde die gesamte Anlage unter dem Namen „Ausser Krankenhaus“ zusammengefasst und unter eine gemeinsame Verwaltung gestellt.
19./20. Jahrhundert (Ausbau und Zusammenschluss zur Waldaugruppe)
1809 Übergang des gesamten Areals von der Gemeinde Bolligen an die Gemeinde Bern.
1851-1855 Neubau der Städtischen Heil- und Pflegeanstalt Waldau (Hauptgebäude; Plan 8, Bolligenstrasse 117) durch die Stadt Bern. Architekt der klassizistischen Anlage war Gottlieb Hebler. 1883f. wurde die Waldau Staatsbesitz.
Doch erst nach 1891, nachdem das Ausserkrankenhaus im Inselareal einen Neubau erhalten hatte, wurden die Siechenkapelle und die übrigen fünf Gebäude des Ausserkrankenkauses an die psychiatrische Klinik Waldau abgetreten, und erst als Folge dieser Zusammenlegung wurde die Siechenkapelle zum Gottesdienstraum für die ganze Gebäudegruppe. Zuvor wurden sowohl reformierte wie ab 1865 auch katholische Gottesdienste für die psychiatrische Klinik in speziellen Räumen im ersten Obergeschoss des Hauptgebäudes abgehalten.
1899-1901 Aufstockung des ehemaligen Toll- hauses (Althaus; Plan 5, Bolligenstrasse 141). 1913 Bau der alten Aufnahmeklinik.
1958 Bau des Laborgebäudes.
1967ff. Bau von Personalgebäuden und dem Hirnanatomischen Institut.
1970ff. Beginn der Gesamtsanierung des Waldauareals.
1972/73 Innen- und Aussenrestaurierung der Kapelle
- Planung und Bauleitung: Kantonale Denkmalpflege (Heinz Zwahlen)
- Restaurierung der Dekorationsmalerei: Firma Josef Fischer, Bern
1992/93 Entfeuchtung und Aussensanierung der Kapelle.
Die Kapelle – Beschreibung des Baus und seiner Ausstattung
Wie die Sondierungen anlässlich der Restaurierungsarbeiten von 1972/73 ergaben, handelte es sich bei der Kapelle aus dem Ende des 15. Jahrhunderts um einen Rechtecksaal mit eingezogenem, dreiseitig geschlossenem Chor. Dass sich das Schiff dieser Kirche im Westteil des heutigen Baus wenigstens teilweise noch aufgehend erhalten hat, ist einerseits an der Innenseite des Westportals, wo man die Form der ursprünglichen Oeffnung und deren dekorativen Schmuck (spätgotische Pollenfriese mit Pfaünaugen) noch gut erkennen kann, anderseits an dem gotischen Fenster mit dem gekehlten Gewände in der Nordwand, das bei der Restaurierung von 1972f wieder geöffnet wurde, ersichtlich. Seine extrem längsrechteckige Form erhielt der heutige Bau durch den 1682 erfolgten Chorabbruch und die anschliessende Verlängerung gegen Osten (siehe Grundriss). Dadurch enstand ein einheitlicher Predigtsaal mit 7 profillosen Kuppelfenstern und drei Türöffnungen. Die westliche Eingangsfassade wird dominiert durch die grau gestrichene, doppelstöckige Holzlaube mit Stichbogenarkaden im Obergeschoss und den sechseckigen Dachreiter.
Im Inneren, das mit einer durchgehenden, gedrückten Holztonne gewölbt ist, wird die Chorpartie nur durch eine Stufe vom Schiff abgesetzt.
Die einzelnen Elemente der Ausstattung Die dekorativen Fenster- und Türumrahmungen im Inneren (1972 bei der Restaurierung sehr stark ergänzt) und im Aeusseren, die Sonnenuhr an der Südwand sowie die Bemalung der Holztonnendecke entsprechen dem gängigen Muster barocker Berner Kirchenausstattung. Der Vergleich mit ähnlichen Dekorationen, namentlich der Decke in der Kirche Sigriswil von 1679, legt eine Zuschreibung an den vielbeschäftigten Dekorationsmaler Hans Conrad Heinrich Friedrich nahe. Uebereinstimmend sind die ähnliche Art der Gestaltung der schmalen Felder mit Umfassungslinien und marmorierten Trennleisten sowie eine fast identische Behandlung des floralen, von Akanthusranken beherrschten Dekors.
Zur barocken Ausstattung gehören auch das Gestühl im Chor und an der Westwand des Schiffes sowie die Kanzel, die durch frühere Versetzungen leider gelitten hat und deren Stifterinschrift nicht mehr zu entziffern ist. Die Wappenschildchen an einzelnen Bänken verweisen darauf, dass im 17. und 18. Jahrhundert die patrizischen Landgutbesitzer der Umgebung in der Kapelle ihre eigenen Sitzplätze hatten.
Eine Kostbarkeit, die heute nicht mehr an Ort und Stelle zu bewundern ist, ist die Gruppe von sieben ehemals im mittleren Chorfenster eingelassenen Bildscheiben. An der Sitzung des Regierungsrates vom 23. November 1908 wurde beschlossen, dass „auf den Antrag der Unterrichtsdirektion die sechs dem Staate gehörenden Glasgemälde in der Kapelle des Aeusseren Krankenhauses dem historischen Museum zu Bern in Gewahrsam gegeben“ werden sollen. Eine weitere Scheibe (Kat. 3) war schon früher aus der Kapelle entfernt und über den Kunsthandel ins Historische Museum gelangt.
Eine Orgel besitzt die Kapelle erst seit knapp 100 Jahren. 1899 errichtete die Orgelbaufirma Zimmermann aus Basel eine Orgel im Chor mit zwei Manualen nach einer Disposition von Carl Locher, dem Organisten der Nydeggkirche. Erster Organist war kein Geringerer als der damalige Waldaudirektor Wilhelm von Speyr. 1932 wurde diese Instrument nach Plänen des damaligen Münsterorganisten Ernst Graf durch eine neue, mit pneumatischer Traktur ausgestattete Orgel der Firma Tschanun aus Genf ersetzt, welche die ganze Chorwand beanspruchte. Bei dieser Gelegenheit wurde das Ostfenster zugemauert.
Als man sich anlässlich der Restaurierung der Kapelle entschloss, die bestehende defekte Orgel zu ersetzten, erwarb man ein klassizistisches Gehäuse, welches der Orpunder Orgelbauer Friedrich Rihs 1845 für die Kirche Walperswil geschaffen hatte. In dieses von Handwerkern der Klinik wiederhergestellte Gehäuse wurde von der Orgelbau Genf AG 1972 ein neues Instrument gebaut, das auf der Empore in die Brüstung integriert wurde. Das heutige Instrument umfasst 13 Register, die sich auf 2 Manuale und Pedal (IIP 5, 5, 3) verteilen. 1993 wurde eine gründliche Revision der Orgel durch die Firma Th. Kuhn AG in Männedorf ausgeführt und im Pedal das Register Schwiegel 4′ durch eine Trompete 8′ ersetzt.
Disposition der Orgel 1993 nach der Veränderung durch Orgelbau Kuhn AG:
I Manual: Principal 8′ Rohrflöte 8′ Oktave 4′ Waldflöte 2′ Mixtur 3 f. 2′ II Manual: Gedackt 8′ Blockflöte 4′ Principal 2′ Sesquialtera 2 2/3′ + 3/5′ Zimbel 2 f. 1′ Pedal: Subbass 16′ Spillflöte 8′ Trompete 8′
Tritte für Manual- und Pedalkoppeln. 1 Kombination mit Drehknöpfen. Traktur mechanisch.